Windenergie: Warum Dänemark wichtig ist | Wirtschaft | DW | 13.07.2022

2022-08-26 21:15:28 By : Mr. Wayne Wang

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Europas ambitionierte Pläne zum Ausbau der Offshore-Windenergie brauchen Häfen. Eine der größten ist Esbjerg. Die dänische Stadt macht vor, wie konsequente Energiewende geht.

Für Jesper Frost Rasmussen war es ein denkwürdiger Tag, jener 18. Mai 2022, an dem vier Regierungschefs und die EU-Kommissionspräsidentin nach Esbjerg kamen. Der Anlass: Sie wollten ein Strategiepapier zum Ausbau der Offshore-Windenergie unterzeichnen. Bis 2030 wollen die Staaten gemeinsam 65 Gigawatt (GW) an Windenergie in der Nordsee aufbauen, bis 2050 sogar 150 GW. Eine Kopie dieser Esbjerg-Deklaration hängt eingerahmt in Rasmussens Büro. Unterschrieben vom deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen, den Ministerpräsidenten von Belgien und den Niederlanden, Alexander de Croo und Marc Rutte.

Esbjergs Bürgermeister Jasper Frost

Rasmussen ist Bürgermeister von Esbjerg und weiß, dass seine Stadt in diesen Plänen eine Schlüsselrolle spielt. Esbjerg ist einer der wenigen Häfen für die Offshore-Windindustrie in Europa. Von hier verschiffen Branchengrößen wie Vestas und Siemens Gamesa Windturbinen, versorgt der Stromproduzent Örsted rund 25 Offshore-Windparks mit Ersatzteilen. Das sind mehrere Tonnen schwere Getriebe, Generatoren und Naben.

Auf den Kais ist Platz - auch für die meterlangen Rotorblätter, die gestapelt auf ihre Abfahrt warten. Ohne solche Infrastruktur blieben Europas hochfliegende Offshore-Träume nur ein laues Lüftchen.

Rotorblätter für Windräder von Siemens Gamesa im Hafen von Esbjerg

Dagegen herrscht in deutschen Häfen eher Flaute. In Bremerhaven gab es jahrelangen Streit über den Ausbau zum Offshore-Windhafen, der am Ende die Gerichte beschäftigte. Einige Unternehmen der Branche wie Senvion und Windreich gingen derweil Pleite, Prokon hingegen rettete sich durch die Insolvenz und agiert heute als größte Energiegenossenschaft Deutschlands.  Auch in anderen deutschen Häfen tut sich wenig. Lediglich vom deutlich kleineren niederländischen Eemshaven aus gehen bereits Fundamente für die rotierenden Riesen auf die Reise.

Esbjerg hat die Segel rechtzeitig gesetzt. Über Jahrzehnte bestimmte der Bau von Öl- und Gasplattformen in der Nordsee das Geschehen. Nun übernimmt die Windenergie. Schon jeder neunte Job in Esbjerg hängt direkt an der Windkraft: insgesamt rund 5000.

"Wir ziehen bei der Windenergie an einem Strang", so Bürgermeister Rasmussen von den dänischen Liberalen. "Als Stadt sorgen wir dafür, dass die Branche die Standorte bekommt, die sie braucht." So habe die Kommune jüngst den Ausbau des Hafens um 500.000 auf dann 4,5 Millionen Quadratmeter beschlossen.  An den Planungen waren auch Umweltverbände beteiligt. "Es gab keinen Dissens in der Frage."

Längst gehen die Planungen weiter, und zwar für Standorte zur grünen Wasserstoffproduktion. Denn ein Teil der stetig wachsenden Mengen an Windstrom, die in Esbjerg über Seekabel anlanden, soll für die Elektrolyse von Wasserstoff zum Einsatz kommen. So plant der Schweizer Projektentwickler H2Energy am Rand des Hafens bis 2024 den Bau eines 1 Gigawatt (GW) starken Elektrolyseurs, der Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet. Es wäre einer der größten der Welt.

Damit nicht genug: Die dänische Investmentgesellschaft CIP will in der Nähe eine weitere 1- GW-Anlage bauen, die aus Windstrom-Wasserstoff künftig jährlich 600.000 Tonnen grüne Düngemittel synthetisiert.

An den nächsten Verwertungsschritt denkt derweil schon Christian Udby, CEO des regionalen Energieversorgers DIN Forsyning. "Wir wollen die Abwärme aus den Elektrolyseuren künftig für die Fernwärmeversorgung nutzen." Das Unternehmen muss handeln, denn am 1. April 2023 soll das Kohlekraftwerk im Hafen vom Netz gehen, das bisher rund die Hälfte der Wärme für die Stadt lieferte.

Übernehmen soll ein breiter Mix an Alternativen: neben Biomasse vor allem eine 50 Megawatt (MW) starke Seewasser-Wärmepumpe, die derzeit im Hafen im Bau ist. Es wäre die größte ihrer Art weltweit. Sie wird künftig Wasser aus einem Hafenbecken entnehmen, Wärme extrahieren und das Wasser in einiger Entfernung wieder in die Nordsee leiten. Die Technologie liefern die deutschen Unternehmen MAN und Volkswagen. Die Neuerung wird damit erstmals in Dänemark kommerziell an den Markt gehen.

Von der Idee bis zur Inbetriebnahme wird es bis dahin kaum fünf Jahre gedauert haben. Zum Vergleich: in Hamburg, das ebenfalls ambitionierte Pläne zum Ersatz eines Kohlekraftwerkes verfolgt, sind Flusswärmepumpen schon wesentlich länger ein Thema. Bis zur Realisierung werden dort aber noch weitere Jahre ins Land gehen.

Seit Jahrhunderten wird Windkraft genutzt. Sie pumpt Wasser, mahlt Getreide, sägt Holz und bringt Segelschiffe ans Ziel. In Europa gab es im 19. Jahrhundert mehrere 100.000 Windräder. Die Niederländer (Foto) nutzten sie vor allem zur Trockenlegung von Sumpfgebieten. Heute erzeugt Windkraft vor allem klimafreundlichen Strom und ist damit zentral für die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels.

Windkraftanlagen erzeugen oft die günstigste Energie. Strom aus einem neuen Kohle- oder Atomkraftwerk kostet heute zwei bis dreimal mehr. Besonders günstig ist Windstrom vom Land. Auf dem Meer bläst der Wind dafür konstanter und es gibt viel Platz. Laut Prognosen sollen die Kosten für Windstrom noch weiter sinken, an guten Windstandorten auf 3 Eurocent pro Kilowattstunde bis 2030.

Ein großes Windrad wird bei Wilhelmshaven in Norddeutschland montiert. Es hat 6000 Kilowatt Leistung und deckt dort den Haushaltsstrom von 10.000 Personen. Vor 25 Jahren hatten Windräder nur etwa 500 Kilowatt - genug für etwa 500 Menschen. Die Türme sind bis zu 180 Meter hoch. So hoch oben gibt es viel mehr Wind, darum lohnt der Bau auch in windärmeren Regionen.

Auf dem Meer weht der Wind konstant und kräftig. Schon fünf Prozent des weltweiten Windstroms kommt aus Offshore-Parks wie diesem vor der niederländischen Küste. Solche Anlagen haben eine Leistung von bis zu 10.000 Kilowatt, ab 2025 sogar bis 15.000 Kilowatt: Strom für über 40.000 Menschen. Installation und Wartung im Meer sind jedoch aufwendiger als an Land.

Die Hälfte aller weltweit neu aufgestellten Windräder werden derzeit in China installiert. Allein 2020 baute das Land neue Turbinen mit einer Leistung von 52 Gigawatt Windkraft auf. Das entspricht der Leistung von 50 Atomkraftwerken. Vorreiter beim Windausbau sind Dänemark und Deutschland. Dänemark deckt schon rund 50 Prozent seines Strombedarfs mit Windenergie, in Deutschland sind es 25 Prozent.

Hier überprüfen Techniker in Marokko eine Windturbine. 1,3 Millionen Menschen arbeiten inzwischen weltweit in der Windindustrie. Rund 550.000 davon in China, 110.000 in den USA, 90.000 in Deutschland, 45.000 in Indien und 40.000 in Brasilien. Installation und Betrieb der Windanlagen sind aufwendiger als bei der Kohlekraft und so entstehen durch den Ausbau der Windkraft immer mehr Jobs.

In dicht besiedelten Regionen ist die Windkraft auch umstritten. Hier in Starkenburg bei Frankfurt wollen viele Anwohner den Ausbau der Windkraft. Sie investieren in neue Anlagen und profitieren vom Stromverkauf. Windparks mit Beteiligung der Bürger haben eine hohe Akzeptanz. Ohne Bürgerbeteiligung gibt es in dicht besiedelten Regionen vor Ort oft Widerstand.

Früher brachten Segelschiffe Frachtgüter in alle Welt, dann übernahmen Dieselmotoren den Antrieb. Inzwischen gibt es in der Schiffahrt viele Innovationen und moderne Segel kommen wieder ins Spiel. Mit zusätzlichem Windantrieb lässt sich der Energieverbrauch von Frachtern um bis 30 % reduzieren, eine Umrüstung ist möglich. Zudem sollen Schiffe künftig grünen Wasserstoff als Treibstoff nutzen.

Im Meer gibt es genug Platz für Windkraft. Doch an vielen Stellen ist das Wasser zu tief für ein Fundament im Meeresboden. Schwimmende Anlagen auf Bojen sind eine Alternative. Mit langen Ketten werden sie am Meeresboden fixiert. Schwimmende Windparks gibt es bereits in Europa und Japan. Auch bei Sturm bleiben sie stabil. Hier wird in Portugal eine Anlage (8400 KW) in den Atlantik gezogen.

Der 147 Meter hohe Wolkenkratzer Strata SE1 in London ist mit seinen futuristischen Windturbinen ein Blickfang. Doch wirtschaftlich sind solche Anlagen auf Dächern in der Regel nicht, denn der Wind in Städten weht meist zu schwach. Photovoltaikanlagen sind auf Dächern darum fast immer die effizientere Alternative.

In drei bis elf Monaten haben Windkraftanlagen die Energie erzeugt, die für den Bau benötigt wurde, und bei der Stromerzeugung entsteht kein CO2. Die Anlagen sind ebenfalls ein Eingriff in die Natur. Im Vergleich zu anderen Energien schneiden sie in der Umweltbilanz jedoch am besten ab. Laut Umweltbundesamt verursachen sie rund 70-mal weniger Umweltkosten als die Kohlekraft.

Wind- und Solaranlagen können zusammen weltweit den Energiebedarf decken. Ab einer Windgeschwindigkeit von 10 km/h erzeugen Windturbinen Strom. In Regionen mit viele Sonne ist Photovoltaik die günstigste Energie, etwas weiter nördlich und südlich des Äquators meist ein Mix aus Wind- und Sonnenkraft. Wo viel Wind weht, kann die Windkraft der wichtigste Energieträger werden.

In einer ersten Version des Artikels hieß es, das Unternehmen Prokon sei Pleite gegangen. Das wurde korrigiert. Prokon hat ein Insolvenzverfahren durchlaufen und firmiert heute als Genossenschaft.  

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